Warum ich es liebe, Achtsamkeit pragmatisch und lebensnah zu vermitteln (und ein simples Tool).
Einfach mal gar nichts tun...
Wann hast du das letzte Mal ein paar Minuten lang NICHTS getan?
Ich hatte dieses Erlebnis 2014 zum ersten mal seit langem auf einem Kongress für Achtsamkeit in der Wirtschaft. Nach jahrelangem Rotieren im Hamsterrad mit Studium, Job, Hausbau, Familiengründung ... was man halt so macht in der Rushhour des Lebens :P ... hatte ich kurz zuvor meinen sicheren Job gekündigt. Da saß ich nun und die ebenso simple wie scheinbar unlösbare Aufgabe lautete: Ein paar Minuten lang einfach nur so dazusitzen...
WIE? Einfach nur dasitzen??? Nichts TUN??? Einfach nur ganz präsent sein, meinen Atem spüren und beobachten, was ich über meine Sinne wahrnehme, welche Gedanken ich möglicherweise bemerke, wie sich mein Körper gerade anfühlt... Ehrlich? Das Gefühl, das sich einstellte - diese völlige Präsenz - hatte ich seit Jahren nicht gespürt. Vielleicht mal in ein paar durchtanzten Nächten (die mit den Jahren auch immer weniger geworden sind), beim Flow im Sport oder währen ein paar wertvoller Stunden im Urlaub am Meer oder in den Bergen... Aber im Alltag?!?! Das Gefühl ist für mich schwer zu beschreiben, aber es fühlte sich an wie ein anderer Modus - eben ein raus aus dem TUN kommen, raus aus dem unbewussten Autopiloten, rein in ein wirkliches in Kontakt kommen mit mir selbst.
Diese Minuten waren ein Schlüsselerlebnis für mich und der Ausgangspunkt meiner persönlichen Weiterentwicklung... einjährige Achtsamkeitstrainerausbildung, Selbständigkeit als Trainerin, Ausbildungen als Kommunikations- und Mentaltrainerin und die intensive Beschäftigung mit positiver Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung im Allgemeinen.
Achtsamkeit hat erst mal nix mit Spiritualität zu tun
Was mir aufgefallen ist, als ich in die "Blase" der Achtsamkeitsszene eingetaucht bin ist, dass da unglaublich viele unglaublich spirituelle Menschen unterwegs sind. Dass rund um dieses Thema sehr oft Worte wie Universum und Wurzeln, die bis zum Erdkern wachsen und Manifestation und Energiefelder fallen... und gleichzeitig, dass es viele Menschen gibt, die sich an das Thema Achtsamkeit nicht rantrauen oder meinen, es sei nichts für sie, weil sie eben das Gefühl haben, es sei zu "eso" für sie .
Um das direkt klarzustellen - ich respektiere jede Form von Spiritualität absolut. Es gibt ganz wunderbare Menschen, die in diesem Bereich arbeiten und wirken. Und gleichzeitig finde ich es schade, dass es Menschen gibt, die das Thema Achtsamkeit so gut in ihrem Leben gebrauchen könnten, die aber meinen, dass es das eine nur in Kombination mit dem anderen gibt. Und dass diesen Menschen dadurch das ganze Potential, das in dieser Thematik steckt, entgeht.
Kurzer Einschub für alle, die noch nicht so vertraut mit dem Thema sind. Die Definition von Achtsamkeit lautet ganz simpel: Ganz bewusst mitbekommen, was jetzt gerade da ist, ohne es sofort beurteilen zu müssen (Achtung Spoiler: Das nicht Beurteilen ist die schwierigste Aufgabe von allen ;))
That’s it. Erst mal nix mit Universum oder Wurzeln oder so :)
Ich selbst hab mich nie für sonderlich spirituell gehalten. Ich konnte diese Achtsamkeit als ich sie kennengelernt habe, einfach gerade ziemlich gut gebrauchen. Um aus meinem Hamsterrad rauszukommen. Um mal wieder wirklich in Kontakt mit mir zu kommen. Um meine Bedürfnisse mal wieder zu spüren und anschließend zu überlegen, wie ich sie (wieder) besser leben kann. Und nicht zuletzt, weil die Haltung der Achtsamkeit mich rausgeholt hat aus meinen überschnellen Reiz-Reaktions-Mustern... für mich als von Natur aus impulsiven Menschen ’ne ziemliche Herausforderung...
Ich habe gelernt, dass ich nicht immer direkt reagieren muss, wenn ein Reiz von außen kommt, sondern dass da ein Raum zwischen Reiz und Reaktion ist. Und wenn ich es schaffe, diesen Raum mal anzuschauen, dass da unglaublich viel Potential und Handlungsspielraum drin liegt!
Den eigenen Mindfuck beobachten
Das Coole an meinem Job als Trainerin ist, dass ich immer auch Mit-Übende bin. Dass ich nie fertig bin, sondern immer auch auf dem Weg. Dass ich meinen Gruppen nicht einfach theoretisch erzähle, wie es geht, sondern aus meiner eigenen Erfahrung heraus mit meinen Teilnehmer*innen in Kontakt komme. Dass wir uns von Mensch zu Mensch begegnen.
Durch meine eigene Achtsamkeitspraxis, mein immer wieder "im Moment sein", lerne ich mich übrigens selbst mit der Zeit immer besser kennen. Ich lerne wie mein Geist funktioniert, ich sehe den immer gleichen Mindfuck, der durch meinen Kopf schwirrt und kann damit arbeiten. Ich kann beobachten, dass Gedanken, die mir heute vielleicht den Tag schwer machen, morgen schon gar nicht mehr so schwer wiegen. Ich kann bewusst meinen Fokus neu ausrichten, wenn ich mitbekomme, dass ich mich mal wieder in Gedankenschleifen verzettel’.
Deswegen liebe ich es, in meinen Vorträgen, Workshops und Trainings, Achtsamkeit genau auf diese Art und Weise zu vermitteln... als
ein Tool zu mehr Präsenz und Handlungsspielraum und auch als eine bestimmte Haltung, dem Leben zu begegnen.
Und wenn ich heute nach einem Training oder einer Ausbildung Rückmeldungen von Menschen bekomme, die sagen, sie seien überrascht, dass man Achtsamkeit mit soviel Leichtigkeit, Humor und Pragmatismus vermitteln und leben kann, dann macht mich das wirklich happy und auch ein bisschen stolz :)
Kurzer Check-in
Wenn du jetzt auch mal ausprobieren möchtest, wie es sich anfühlt, ganz präsent zu sein, dann probier doch mal eine Übung aus, die ich als achtsames Innehalten kennengelernt habe. Du kannst sie aber auch gerne
Fokussierungs-Minute oder Kurz-Check-in nennen oder was immer für dich passt.
Schließe für zwei oder drei Minuten die Augen und spür’ mal, wie du in diesem Moment sitzt (oder stehst oder liegst). Also
komm’ einfach mal in diesem Augenblick an.
Und dann check’ nacheinander deine Gedanken ("Was geht dir gerade durch den Kopf?"), deine Gefühle ("Gibt es irgendwelche Gefühle, die du gerade spüren kannst? Angenehme, unangenehme, neutrale?") und deine Körperempfindungen ("Welche Signale deines Körpers spürst du gerade?"). Und das - Achtung tricky- möglichst ohne es zu bewerten, sondern wie ein neutraler, aber liebevoller Beobachter, der sich alles von außen anschaut. Fokussiere dich danach für zwei, drei Atemzüge auf deine Ein- und Ausatmung. Und wenn du dann noch ein bisschen Zeit erübrigen kannst, dann
gib dir selbst doch mal die Erlaubnis, einen Moment lang gar nichts zu tun... einfach nur dazusitzen :)
Die Sehnsucht nach echtem Leben
Und vielleicht klingt das jetzt doch ein ganz klein bisschen spirituell, aber was mir immer wieder begegnet - und zwar völlig egal, ob ich mit Führungskräften oder mit Schüler*innen, mit "ganz normalen" Arbeitnehmer*innen oder mit Menschen im Rahmen von privaten Workshops arbeite - ist eine tiefe Sehnsucht, mehr vom Leben zu spüren. Die Sehnsucht danach, das Leben nicht an sich vorbei rauschen zu lassen, sondern einfach mehr davon mitzubekommen, öfter in echten Kontakt mit sich selbst und auch in echten Kontakt mit anderen Menschen zu kommen...
Und dafür sind die Tools und vor allem eine grundlegende Haltung der Achtsamkeit in meinen Augen die beste Grundvoraussetzung... ganz pragmatisch und lebensnah :)
Zum Abschluss bekommt ihr von mir noch einen kleinen Kalenderspruch um die Ohren gehauen, der vermutlich von John Lennon stammt: "Life is what happens to you while you are busy making other plans."
Also - lass' mal alle ein bisschen weniger Pläne machen und ein bisschen mehr im Moment leben!
